Frankreich


Ein prägendes Erlebnis:

Wo fange ich am besten an? Ich würde sagen beim Anfang, als es alles begann, wie jede Erzählung. Hier die Geschichte meiner Liebe zu einem Ort, der mir zur zweiten Heimat wurde...
Ich war 10, da meldeten mich meine Eltern bei einem Austauschprogramm an, von dem ich vorher nie gehört hatte. Eigentlich tat ich das nur auf deren Wunsch hin und erwartete auch nicht wirklich noch im selbigen Herbst eine Zusage zu bekommen...wie jeden normalen Schultag kam ich heim und das erste was geschah als ich ankam, war meine Mum, die sich mir kreischend an den Hals warf. Sie überschüttete mich mit allem Möglichen, was ich verstand war folgendes: ich wurde angenommen und man fand eine Familie für mich. Ebenfalls vier Kinder, einen Hund und einen Pool im Garten...mehr Einzelheiten erfuhr ich dann als sich meine Mum beruhigt hatte und wieder in zusammenhängenden verständlichen Sätzen sprechen konnte. Dezember und Januar vergingen quälend langsam, doch letztendlich kam er doch, der große Tag an dem meine Austauschschwester von ihren Eltern vorbeigebracht wurde. Glaubt mir wenn ich sage dass die erste zeit schwer war.
Ein fremdes Mädchen kam zu mir in die Familie, ohne auch nur ein Wort Deutsch, doch sie hatte so ein süßes Lächeln, mit dem sie jeden Tag bestritt. Ihr erster vollständiger Satz: "Papa, wo sind die Toiletten?", ist noch heute legendär bekannt in meiner Familie ;)
Ich will jetzt nicht sagen, dass es immer leicht war, und wie unter normalen Geschwistern gab es unter meiner neuen Schwester und mir auch so manche Meinungsverschiedenheiten, trotzdem verging die erste Hälfte des Austausches wie im Flug und schon war der Tag da, an dem meine Eltern uns beide nach Frankreich bringen würden...Adèle, die mir mittlerweile schon wie eine Schwester und gleichzeitig beste Freundin ans Herz gewachsen war, und mich. Die 11 jährige Lara die jetzt ganze 6 Monate lang, 1200 km weit von Würzburg eine neue Sprache und Kultur kennen lernen würde. 6 Monate, das mag verdammt lang klingen, genau das dachte ich auch, was sich jedoch noch schnell genug als falsch erweisen würde...
Mein Erster Eindruck als ich ankam war überwältigend...dieses riesige alt bretonische Haus, sozusagen mitten auf den Feldern, und gleich drei Große Schwestern plus natürlich Adèle, anstatt meiner gewohnten drei kleineren Brüder.
Wow, das war erst mal genug Aufregung für die nächsten Tage. Meine Gastmutter nahm mich jedoch gleich mit in die Küche und ich durfte gleich mithelfen, natürlich mit Vokabularübungen mit eingebaut. Jeder Küchengegenstand wurde mir nach und nach vorgesagt und dann einer nach dem anderen hochgehalten und ich musste ihn richtig benennen...diese Spiele ging natürlich nicht nur im Bereich der Küche, sondern überall.
Eric, mein Gastvater, war immer lustig und zu einem Scherz zu haben und einfach ein genialer Vater. Dank seiner Herr-der-Ringe-Vernarrtheit saßen wir öfters einen ganzen Abend zusammengekuschelt auf dem Sofa, alle Vorhänge zu, und haben neben dem alten Steinofen einen Film nach dem andren angeschaut-in der ungekürzten Version natürlich ;)
Jeden Samstag die Familientradition: Galette essen bei der Oma, direkt neben an, zusammen mit Tante, Onkel und der kleinen Lou...allesamt wohnten in der selben Straße.
Auch zum Wäscheaufhängen ging man einfach durch den Schuppen rüber auf das Grundstück der Großeltern mit den Wäscheleinen.
Im Oktober stand Äpfelsammeln auf dem Programm. und damit meine ich nicht nur einfach mal so einen Baum abpflücken...nein, über 50 Bäume waren zu bearbeiten, also wurden alle Verwandten angepfiffen und einen ganzen Tag wurde gesammelt, und alles in einen Traktoranhänger geladen mit dem wir von Plantage zu Plantage fahren konnten. ihr könnt euch sicher vorstellen wie aufregend das für ein kleines 11-Jähriges Mädchen war dort mitzufahren ;)
Die Tonnenweise Äpfel wurden dann zu hausgemachtem Cidre und Apfelsaft verarbeitet! mhhh ;) Sehr lecker wenn auch ein unglaublich anstrengender und langwieriger Prozess zum zubereiten der beiden Köstlichkeiten^^
Wen ich besonders ins Herz schloss waren die 4 kleinen Wildkätzchen, die sich dort auf dem Grundstück aufhielten. Mit ein wenig Milch, Futter und gaaaanz viel Zeit gelang es mir tatsächlich die scheuen Tierchen zutraulich zu bekommen. wie viele Stunden saß ich da und schaute ihnen beim trinken zu, jeden Tag ein Stück näher dran...das erste mal dass ich diese zarten Kreaturen streicheln dürfte war ein richtiger Erfolg für mich und bis Ende des Austausches kam ich so weit, dass sie mir hinterherliefen und mit mir kuschelten.
Trotz fünf Kinder gab es genug Platz für mein eigenes Zimmer. Oft lag ich in meinem breiten "Prinzessinenbett", Kuscheltier im Arm und betrachtete die Leuchtsterne an der Decke. Es gab sogar automatischen Rollo, ziemlicher Luxus für mich damals xD
Sollte mal eine Freundin zum Übernachten kommen gab es natürlich noch ein Riesen Dachzimmer mit drei Doppelbetten. Diese wurden einfach nebeneinander geschoben und schon war Platz genug für eine eigene Pyjama-Party ;) Musik an, Kissen her und so schnell wurde für eine tolle Nacht garantiert.
Nun ich erinnere mich dran erwähnt zu haben, dass es einen Pool im Garten gab?!  Ich kam an und konnte kaum meinen Augen trauen...klar hatte ich schon Photos gesehen, aber Photos sind nun mal nur Photos und tendieren oft dazu die Realität nicht genauso darstellen zu können wie sie ist...er war noch viel größer als erwartet und vor allem tief. 2 m das reicht locker zum kunstvollen reinspringen ;)
Kürze Verschnaufpause auf einer der Sonneliegen und ab ging's wieder ins Wasser. Sogar im Frühling/Anfang Herbst beheizt!
Ach selbstverständlich xD gab es noch einen Whirlpool im Haus und Sauna. Wie ein ganz persönliches Wellnesshotel, nur viel viel besser ^^
Faszinierend war natürlich, nicht zu vergessen , das Nachtschwimmen mit Poolbeleuchtung unter klarem Sternenhimmel...
Wer mich auch nur halbwegs kennt, der weiß auch wie sehr ich von lesen besessen bin, also ist leicht nachvollziehbar, dass das Leseeck im Obergeschoss zu einem meiner Lieblings-Rückzugsorten wurde samt Sitzkissen und Haufenweise Bücher. Mittags Schien die Sonne durch das kleine Fenster und ließ die kleinen Staubkörnchen im Licht tanzen...
Der französische Alltag wurde recht schnell zu meinem eigenen und ich lernte das Land so kennen, wie es kein Tourist jemals tut...
Was mir besonders jetzt in Deutschland fehlt nachdem ich es kennenlernte, waren die engen Beziehungen innerhalb der Familie, zu deren Ausdruck das gemeinsame Köchen und, anschließend ans Abendessen, die Kartenspiele mit Tee und Plätzchen. ab und an gingen diese Abende bis weit über Mitternacht. Es wurde gelacht, gespielt und Spaß gehabt, verbunden mit Glücklichkeit in den Kreis dieser lachenden Gesichter zu gehören...
So schnell wie auch das erste halbe Jahr vergangen war verging nun auch das Zweite, wahrscheinlich sogar noch zackiger und kaum hat man sich Versehen kam Februar 2008 und schon standen meine deutschen Eltern vor der Tür, um mich zurück nach Deutschland zu bringen. Es fiel mir schwer das Haus, die Familie und einfach alles was zu diesem Leben gehörte, zu verlassen, doch alles schöne hat auch ein Ende. Das Wissen schon bald wieder zurück kehren zu können, wenn auch nur für einige Wochen, ließ mich den Abschied wenigstens ertragen.
Wie versprochen kehrte ich schon im Sommer für die Ferien zurück und fand alles was ich Vermisste wieder. Von Jahr zu Jahr konnte ich beobachten, wie dem Haus einige Veränderungen durchzogen wurden, doch sonst blieb alles gleich. Eine neue große Küche, ein neuer Raum für Whirlpool, Sauna, Massagedusche und Fitnessgeräte, ein weiteres Gästezimmer und ein neues Elternschlafzimmer wurden errichtet oder renoviert, bis das Haus schließlich noch perfekter wurde als es eh schon war. Die Jahre vergingen und jeden Sommer kam ich dort hin, ab und an auch mal Ostern, bis letztem Jahr, 2011. Mittlerweile bin ich 16, Adèle und der Rest der französischen Familie noch mehr Teil von mir und falls es du h interessiert: die mittlerweile groß gewordenen Kätzchen kommen immer noch jedes mal mich begrüßen.
Naja, zurück zum Thema: Sommer war ich das letzte mal dort, verließ mein Leben dort wieder einmal unter Tränen, jedoch mit dem wissen wiederkehren zu können. Die Jahreszeiten vergingen und nun ist Winter. Januar rief Adèle mich wie so oft mit Skype an, doch dieses mal bemerkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte, denn keine sonst so süße, fröhliche Schwester weinte...sie weinte wirklich und erzählte mir etwas, was ich niemals gedacht hätte....Ihre Elten hatten beschlossen das Haus zu verkaufen, um nach Saint Malo zu ziehen. Die Nachricht schockte mich, doch was mir besonders das Herz bluten ließ war Adèle, meine kleine weinende Adèle 1200 km von mir entfernt, die ich nicht einfach in den Arm nehmen konnte um sie zu trösten. Für sie war der Schlag noch harter als für mich...ihre Eltern hatten immerhin ohne sie und ihre Schwestern zu fragen, die Entscheidung den Ort ihrer Kindheit, den Ort an dem ihre Verwandten lebten, an dem sie so viele glückliche Momente erlebte, zu verlassen.
Damals dachte ich mir noch dass Maman und Papa (Eric) das nur kurzfristig als Idee haben mögen und sich doch dagegen entscheiden würden....bis Adèle mir ein Photo der Verkaufsanzeige schickte. Es ist endgültig....das Haus steht zu Verkauf und nichts ist daran zu ändern. In der langen Nacht danach, die ich wach verbrachte, stiegen mir all die Erinnerungen wieder hoch und mir wurde auf einmal bewusst, dass ich nie wieder dort zurück kehren werden kann. Kein richtiger Abschied, keine letzten schöne Photos und nochmal alle die Momente durchleben....das Himmelbett, die Fernsehabende, das Galetteessen, die spontanen Besuche der Tante und. Cousine, das Schwimmbad, die Kätzchen .... und nie wieder in meinem zweiten zu Hause wohnen, einem Haus das ich niemals hätte auf immer verlieren wollen, noch weniger als mein "eigenes" Haus.
Und zu all dem noch eine todunglückliche Adèle...das ist einfach zu viel...
Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich inniger hoffe, dass das alles nur ein Traum ist, der plötzlich zerplatzt und alles ist wieder gut. Aber dem ist nicht so, ich weiß mittlerweile nur all zu gut wie unfair das leben ist.
Ohne Abschied, mit dem Gedanken wieder zu kehren verließ ich diesen traumhaften Ort, wie schnell dieses Glück zerstört werden kann. Alles was mir bleibt sind die Erinnerungen, die ich für immer in mir tragen werde.
Ich schrieb einige nieder um zu versuchen all dies zu verarbeiten, doch alles was ich erreichte, waren noch mehr Tränen...
trotzdem war das nicht alles umsonst. Jetzt habe ich wenigstens einen Teil hier fest verankert, sodass er nicht verloren gehen kann wie so viele andere Erinnerungen...






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